Pflege neu denken: Mit Innovation zurück zu mehr Menschlichkeit

Es ist 6:32 Uhr. Schichtwechsel.
Zimmer 3 ruft zum dritten Mal – die Infusion piept, der Zugang hat sich gelöst. Im Flur steht ein Bett, das dringend gereinigt werden muss. Eine Kollegin meldet sich krank. In der Teeküche wartet noch der Medikamentenwagen, den niemand vorbereitet hat. Die Übergabe beginnt zu spät, weil Vitalwerte noch handschriftlich übertragen werden müssen.

Willkommen in einem ganz normalen Morgen auf einer deutschen Krankenhausstation.

Pflegekräfte jonglieren mit zu vielen Aufgaben, zu wenig Zeit und zu vielen Systemen. Und während sie versuchen, trotz allem präsent und professionell zu bleiben, verschwindet das Wichtigste oft zwischen Formularen, Klingeln und Excel-Tabellen: Zeit für Menschen.

Im Folgenden zeigen wir eine Patient-Journey im Jahr 2028, wie wir sie uns vorstellen.
Begleitet wird das ganze anhand der Situation von Frau Brenner, 84, die aufgrund einer pneumonischen Erkrankung aufgenommen wurde. Für Sie zuständig ist die Pflegekraft Leonie. Zudem zeigt sie leichte Demenzsymptome und ist eingeschränkt mobil.

🕕 6:30 Uhr – Schichtbeginn

Pflegekraft Leonie startet mit einem Blick in das digitale Pflegecockpit. Der Brustpatch von BioPeak meldet erhöhten Blutdruck bei zwei Patienten, eine von Ihnen ist Frau Brenner. Somit wird sie heute besonders engmaschig betreut – bevor etwas passiert.

🕖 7:10 Uhr – Medikamentengabe & Trinkkontrolle

Leonie begrüßt die Patientin und überreicht ihr die Medikamente. Zum Trinken nutzt Frau Brenner einen Aquatime-Becher – das System zeigt zu geringe Flüssigkeitsaufnahme. Leonie ergänzt Tee und motiviert Frau Brenner zum Austrinken – automatisch dokumentiert im zentralen System.

🕗 8:00 Uhr – Angehörigenkontakt & Entlastung

Die Tochter von Frau Brenner nutzt die Wissens-App von fabel, um ihre Mutter im Pflegealltag so gut es geht zu unterstützen.
Ein Eintrag im System von Leonie zeigt: Sie übernimmt heute den Spaziergang. Die Pflegekraft wird frühzeitig informiert – klare Aufgabenverteilung, weniger Stress.

🕘 9:00 Uhr – Dokumentation im Hintergrund

Leonie kümmert sich in der Zwischenzeit, um weitere Patienten und spricht während der Versorgung mit Ihnen. In ihrem intelligenten Namensschild von Corti AI werden automatisch relevante medizinische Infos erkannt und in Echtzeit dokumentiert – sicher, vollständig, entlastend.

🕙 10:15 Uhr – Patientenwünsche priorisieren

Frau Brenner ist zurück, draußen war es kalt, sie friert – sie meldet sich per Tablet. Die App von Cliniserve erkennt: kein medizinischer Notfall – eine Servicekraft bringt die Decke. Leonie bleibt bei der Wundversorgung eines anderen Patienten.

🕛 12:00 Uhr – Mittagessen

Das Essen bringt ein Roboter von United Robotics Group und muss von Frau Brenner nur noch entgegengenommen werden. Beim Abräumen scannt Nutrai die Reste. Der Eiweiß-, Kalorien-, und Flüssigkeitshaushalt ist gedeckt – alles automatisch dokumentiert, das ist besonders relevant für ihre Reha-Planung.

🕒 14:00 Uhr – Übergabe

Es ist Zeit für den Schichtwechsel. Leonie’s Ablöse ist neu im Team und spricht besser Spanisch als Deutsch. Auch wenn Sie bereits die Basics auf Deutsch versteht, steht DeepL Voice protokollierend zur Seite und übersetzt Leonies Informationen simultan, sodass nichts Wichtiges vergessen wird.

Fazit: Pflege, wie sie sein sollte

Frau Brenner erhält Zuwendung, Sicherheit und eine individuelle Versorgung – unterstützt durch Technologie, die Pflegekräfte entlastet, nicht ersetzt. Was früher in Formularen und Excel-Tabellen versickerte, wird heute intelligent erfasst, priorisiert und weitergeleitet.

Was zeigt diese Patient-Journey?

Pflege-Innovation ist kein theoretisches Zukunftsszenario, sondern vielerorts bereits Realität – in Pilotstationen, Reallaboren und digitalen Vorreiterhäusern.
Pilotprojekte wie das ISMC zeigen, dass es bereits erfolgreiche Ansätze gibt. Die Technologien sind da, die Ideen ebenso. Doch ihr Potenzial entfalten sie erst dann, wenn sie nicht als Einzellösungen gedacht, sondern als Bestandteile eines integrierten Gesamtsystems koordiniert und vernetzt umgesetzt werden.

Die Herausforderungen dabei sind komplex – und systemisch:

  1. Förderlandschaft & Umsetzungskompetenz:
    Programme wie KHZG oder ISMC schaffen finanzielle Grundlagen – doch Fördermittel entfalten erst dann Wirkung, wenn sie auf klar definierte Strategien, professionelle Umsetzung und interdisziplinäre Zusammenarbeit treffen.
  2. Regulatorik & Zulassung:
    Digitale Gesundheitsanwendungen im klinischen Setting unterliegen strengen Anforderungen. MDR, MPG, ISO-Normen und Datenschutzvorgaben (z. B. DSGVO) machen Innovationen oft aufwändig in der Einführung. Zugleich fehlt es an standardisierten Verfahren zur Validierung digitaler Pflegehilfen.
  3. Datenschutz & IT-Infrastruktur:
    Pflege-Innovation braucht Daten – aber sicher, interoperabel und anwenderfreundlich. Der Spagat zwischen dem Schutz sensibler Gesundheitsdaten und ihrer sinnvollen Nutzung stellt viele Einrichtungen vor technologische und rechtliche Herausforderungen.
  4. Vergütungs- und Anreizsysteme:
    Das derzeitige DRG-System belohnt eher Leistungsmengen als Prävention oder Prozessoptimierung. Viele digitale Lösungen entlasten zwar das Personal, sind aber nicht direkt refinanzierbar – ein Innovationshemmnis auf struktureller Ebene.
  5. Fragmentierung des Gesundheitswesens:
    Ambulante, stationäre und sektorenübergreifende Versorgung funktionieren noch weitgehend isoliert. Pflege-Innovation braucht aber Kontinuität entlang des gesamten Versorgungspfads – vom Krankenhausbett bis in die Häuslichkeit. Hier sind Schnittstellen, Datenstandards und gemeinsame Strategien gefragt.
  6. Fachkräftemangel & Veränderungsdruck:
    Neue Tools allein lösen den Personalmangel nicht – aber sie können ihn abfedern. Wichtig ist: Jede Technologieeinführung muss von Schulung, Beteiligung und kulturellem Wandel begleitet sein.

Pflege neu denken heißt: Strukturen verändern.
Digitale Technologien und smarte Systeme sind kein Selbstzweck – sie sind Werkzeuge, um Pflege wieder menschlicher, sicherer und effizienter zu machen. Die gezeigten Innovationen rund um Monitoring, Dokumentation, Kommunikation und Versorgung sind bereits heute einsatzbereit – praxisnah, erprobt und skalierbar. Doch ihr Potenzial entfalten sie nur, wenn sie nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern gezielt integriert, sinnvoll vernetzt und strategisch implementiert werden.
Wofür das alles? Pflege ist mehr als Versorgung – sie ist Beziehung, Verantwortung und Menschlichkeit.

Laurenz Koller
Consultant bei ARKADIA Management Consultants GmbH

Zertifizierungen: Scrum Master

Bei ARKADIA seit 2024