EfA – Realität oder Rhetorik? Warum die Nachnutzung öffentlicher Digitalisierungslösungen nicht funktioniert (und was sich ändern muss)

1. Einleitung: Anspruch und Wirklichkeit

„Stellen Sie sich vor, ein Bundesland entwickelt eine digitale Lösung, die exakt den gesetzlichen Anforderungen entspricht, benutzerfreundlich ist und produktiv läuft. Monate später: Kein anderes Land nutzt sie. Warum? Weil keiner muss.“

Was als Lösung für die Komplexität föderaler Digitalisierung gedacht war, entwickelt sich zunehmend zum Symbol ihrer strukturellen Schwächen. Das Prinzip „Einer für Alle“ (EfA), im Kern eine wirtschaftlich und organisatorisch sinnvolle Idee, stößt in der Praxis auf Widerstände, die tiefer liegen als technische Fragen. Es geht um Verbindlichkeit, Steuerung – und letztlich um die Fähigkeit, Digitalisierung als kollektives Projekt zu begreifen.

In diesem Beitrag werfen wir einen nüchternen Blick auf das EfA-Prinzip: Wo steht es wirklich? Warum funktioniert die Nachnutzung kaum? Und was müsste sich ändern, damit aus föderaler Vielfalt nicht wieder föderales Versagen wird?

2. EfA im Überblick – Konzept, Zielbild, Versprechen

Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) hat der Gesetzgeber 2017 eine klare Zielmarke gesetzt: Alle Verwaltungsleistungen sollen digital verfügbar und über Portale erreichbar sein. Doch schnell war klar: Wenn jedes Land und jede Kommune ihre Leistungen selbst digitalisiert, drohen Redundanzen, Brüche und enorme Kosten.

EfA (Einer für Alle) sollte die Antwort sein: Eine Verwaltungseinheit – in der Regel ein Bundesland – entwickelt eine digitale Lösung für eine bestimmte Verwaltungsleistung. Diese Lösung wird dann von anderen Ländern und Kommunen nachgenutzt. Die zugrundeliegende Idee: Zentral entwickeln, dezentral einsetzen – also Skaleneffekte durch koordinierte Arbeitsteilung.

Die Zielsetzung:

  • Parallele Entwicklungen vermeiden,
  • IT-Kosten reduzieren,
  • OZG-Leistungen schneller breit verfügbar machen.

Projekte wie ElterngeldDigital, BAföG-Digital oder die Online-Gewerbeanmeldung zeigten frühe Umsetzungserfolge. Einzelne Länder übernahmen Verantwortung – doch die Nachnutzung blieb häufig aus. Die Gründe dafür sind strukturell.

3. Praxischeck: Warum EfA nicht wie geplant funktioniert

Die Liste der EfA-Leistungen wächst, doch die tatsächliche Nachnutzung bleibt hinter den Erwartungen zurück. Ein zentrales Problem ist die Freiwilligkeit: Es gibt keine gesetzliche Pflicht zur Nachnutzung. Jede Verwaltung kann sich – aus fachlichen, technischen oder politischen Gründen – gegen eine Integration entscheiden.

Technische Gründe:

  • Heterogene Fachverfahren und Architekturmodelle,
  • fehlende oder inkompatible Schnittstellen,
  • hoher Migrationsaufwand trotz standardisierter Lösungen.

Organisatorische Hürden: Viele EfA-Projekte haben kein belastbares Betriebsmodell. Fragen nach Wartung, Weiterentwicklung oder Haftung sind oft ungeklärt. Die Verantwortung endet häufig mit dem Projektabschluss – nicht mit der Inbetriebnahme.

Kommunale Ebene: Städte und Gemeinden fehlt es oft an personellen und technischen Ressourcen, um EfA-Leistungen überhaupt einführen zu können. Die Informationslage ist unübersichtlich, der Support limitiert.

Beispiel BAföG-Digital: Nach der Entwicklung in einem Bundesland dauerte es Monate, bis erste Länder nachnutzten. Inkompatible IT-Infrastrukturen, politische Zurückhaltung und zusätzlicher Entwicklungsaufwand erschwerten die Umsetzung.

Und schließlich: Politik. Länder setzen gezielt auf Eigenentwicklungen, um Gestaltungsfreiheit und Sichtbarkeit zu wahren. Die Nachnutzung einer fremdentwickelten Lösung ist oft auch ein politisches Statement – und kein neutrales Technikthema.

4. Tieferliegende Ursachen: Der Strukturfehler hinter EfA

EfA wird in einem Rahmen betrieben, der auf Konsens statt auf Steuerung ausgerichtet ist. Das ist für komplexe, arbeitsteilige Vorhaben wie die Verwaltungsdigitalisierung ungeeignet.

Was fehlt:

  • Ein Rechtsrahmen zur verbindlichen Nachnutzung,
  • verbindliche technische Standards,
  • eine zentrale Instanz mit Steuerungsmandat.

Der IT-Planungsrat koordiniert – aber er steuert nicht. Die FITKO entwickelt Werkzeuge – aber sie hat kein Mandat für deren verbindliche Anwendung. Das Ergebnis: Redundanzen, Reibungsverluste und ineffiziente Ressourcennutzung.

Hinzu kommt die Förderlogik: Projekte werden finanziert bis zur Inbetriebnahme – nicht über den Lebenszyklus hinweg. Skalierung und Verstetigung fallen aus dem Raster.

Und schließlich: Der föderale Zielkonflikt. Der Bund fordert Einheitlichkeit, Länder bestehen auf Eigenverantwortung, Kommunen erwarten Unterstützung. Ohne gemeinsame Steuerung ist EfA nur schwer umsetzbar.

5. Was jetzt passieren muss – Handlungsempfehlungen

Verbindlichkeit schaffen: Nachnutzung sollte gesetzlich geregelt werden. Der IT-Planungsrat muss in die Lage versetzt werden, Standards verbindlich festzulegen. Zielarchitekturen müssen praxisnah definiert und abgestimmt werden.

Betrieb sichern: Es braucht zentrale Betriebsmodelle – etwa bei FITKO oder spezialisierten Landesbetrieben – mit klaren Zuständigkeiten, Wartungszyklen und Weiterentwicklungsmechanismen.

Kommunen unterstützen: Technische Einstiegshilfen, zentralisierte Onboarding-Prozesse und Supportstrukturen sind Voraussetzung für eine flächendeckende Nutzung. APIs, standardisierte Adapter und klare Dokumentation schaffen den technischen Unterbau.

Governance modernisieren: Die Steuerung muss strategisch und operativ aus einem Guss erfolgen. Dafür braucht es eine Instanz mit Mandat, KPIs zur Fortschrittsmessung und politische Rückendeckung – z. B. durch eine neue Bund-Länder-Vereinbarung.

6. Fazit: EfA ist kein Selbstläufer – es braucht Struktur

EfA ist konzeptionell überzeugend. Doch solange Nachnutzung freiwillig bleibt, Betrieb unklar geregelt ist und keine zentrale Steuerung existiert, wird das Prinzip nicht wirken. Die Digitalisierung der Verwaltung braucht klare Rahmenbedingungen – nicht nur gute Absichten.

Es ist an der Zeit, EfA strukturell neu zu denken: als Teil einer übergeordneten Digitalarchitektur mit verbindlichen Spielregeln, klaren Verantwortlichkeiten und langfristiger Perspektive.

7. Perspektive von ARKADIA

Als Beratung mit Fokus auf öffentliche Digitalisierung begleiten wir Projekte an der Schnittstelle von Politik, Organisation und Technologie. Unsere Erfahrung zeigt: Erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung entsteht dort, wo Zuständigkeiten geklärt, Betrieb gesichert und Governance mitgedacht wird.

Wenn Sie EfA nicht nur umsetzen, sondern als dauerhaft tragfähige Lösung etablieren möchten, sprechen Sie mit uns. Wir beraten mit Systemblick – föderal, praxisnah und lösungsorientiert.

ARKADIA Management Consultants GmbH
Thomas Boltersdorf
Manager bei ARKADIA Management Consultants GmbH

Bei ARKADIA seit 2020

Zertifizierungen: PSM, PSO, ITIL V4, Prince2